Israelische Soldaten mit einem Bild des ägyptischen Präsidenten Nasser 1967 / picture alliance,

Krieg im Nahen Osten - Das große Durcheinander

Die verworrene Lage im Nahen Osten ist vor allem die Folge der langen Geschichte des Versagens der arabischen Staaten, stabile innen- und außenpolitische Verhältnisse zu schaffen. Ein Rückblick auf bald acht Jahrzehnte Durcheinander.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Die strategisch-politische Situation im Nahen Osten ist das Ergebnis des jahrzehntelangen Versagens der arabischen Staaten, die regionale Sicherheit voranzutreiben. Der Kalte Krieg, nichtarabische Regionalmächte und das Auftreten nichtstaatlicher Akteure haben dort ein Ungleichgewicht der Kräfte geschaffen. Der geopolitische Kampf findet vor allem zwischen Israel und dem Iran statt, während andere Akteure wie Saudi-Arabien und die Türkei sowie der wichtigste Sicherheitsgarant der Region, die Vereinigten Staaten, eher darauf reagieren. Die Zukunft der Region wird in hohem Maße vom Ausgang der iranischen Bemühungen, den Status quo umzustürzen, und von Israels Reaktion darauf geprägt sein.

Seit ihrer Unabhängigkeit nach den beiden Weltkriegen haben die arabischen Staaten mit innenpolitischen Umwälzungen und Konflikten untereinander zu kämpfen. Anfangs waren die Regime weitgehend pro-westliche Monarchien, aber sie entstanden in einer Zeit, in der arabische nationalistische Bewegungen aufkamen. (Ebenso wie die Baath-Bewegungen, die säkulare Einparteiensysteme befürworteten, die sie als neue arabische Aufklärung ansahen.) Von diesen Ideologien beeinflusste Militäroffiziere putschten in Ägypten (1952), Irak (1958), Jemen (1962), Syrien (1963) und Libyen (1969) und errichteten linksgerichtete republikanische Autokratien, die mit der Sowjetunion verbündet waren. Diese radikalen arabischen Staaten stellten eine Bedrohung für die Amerika-freundlichen Länder dar: Saudi-Arabien, Jordanien, Israel, die Türkei und der Iran (bis zur Revolution von 1979).

Nasseristen gegen Baathisten

Aufgrund seiner enormen Energieressourcen war der Nahe Osten während des Kalten Krieges ein wichtiger Schauplatz. Dabei waren die arabischen Staaten untereinander tief zerstritten. Der Nationalismus der einzelnen arabischen Staaten erwies sich als dauerhafter als der vom ägyptischen Führer Gamal Abdel Nasser vertretene Pan-Arabismus. Am deutlichsten wurde dies durch das Scheitern der kurzlebigen Vereinigung zwischen Ägypten und Syrien (1958-61). Die Baathisten stellten sich natürlich gegen die Nasseristen, aber sie waren auch untereinander verfeindet, wie die Rivalität zwischen den baathistischen Regimen in Syrien und im Irak zeigt.

In der Zwischenzeit wurde die arabische Welt auch durch den Konflikt mit Israel unmittelbar nach dessen Gründung im Jahr 1948 geprägt. Die nationalen Interessen der einzelnen arabischen Staaten – und nicht der Sinn für kollektives Handeln – trieben Ägypten, Syrien und Jordanien dazu, eine Reihe von Kriegen mit ihrem neuen Nachbarn zu führen. Das Ziel, Israel zu besiegen, bestand nicht darin, einen palästinensischen Staat zu gründen. Die Vorhut des palästinensischen Nationalismus, die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), entstand erst 1964, nur drei Jahre vor Israels Sieg im Krieg von 1967, der zwei wichtige Folgen hatte: 

Erstens markierte er das Ende des arabischen Nationalismus als wichtige politische Strömung. Er diskreditierte die Bewegung völlig und gab dem Islamismus Auftrieb, da die Religion zunehmend die Identität als Grundlage für politischen Aktivismus ersetzte. 

Zweitens wurde der palästinensische Nationalismus von den Interessen der arabischen Staaten abgekoppelt und entwickelte sich zu einer eigenständigen Kraft. Israels Eroberung der Sinai-Halbinsel und der Golanhöhen – sowie der palästinensischen Gebiete im Westjordanland und im Gazastreifen – veränderte die strategische Haltung Ägyptens und Syriens gegenüber Israel grundlegend.

 

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Vereinfacht gesagt, wurde ihre Haltung sehr viel defensiver. Bei der Rückeroberung verlorener Gebiete ging es um mehr als die Befreiung Palästinas. Dies war der gesamte Zweck des Krieges von 1973. Obwohl es Syrien nicht vermochte, die Golanhöhen zurückzuerobern, gelang es Ägypten, die Sinai-Halbinsel zurückzugewinnen – wenn auch nur aufgrund eines von den USA vermittelten Friedensvertrags von 1979, der Kairo aus dem Einflussbereich Moskaus heraushalten sollte.

Islamismus statt Nationalismus

Ägypten erkannte mit demselben Vertrag Israel an und trug damit dazu bei, den Schwerpunkt im Nahen Osten auf die arabische Halbinsel und den Persischen Golf zu verlagern. Unterdessen gewann der politische Islam rasch an Einfluss. So wurde im Februar 1979 durch eine Revolution im Iran die Monarchie gestürzt und die Islamische Republik gegründet, die seitdem versucht, die Spaltungen in der arabischen Welt aggressiv zu ihrem Vorteil auszunutzen. Im selben Jahr wurde die heiligste Stätte des Islams in Mekka von ultrakonservativen salafistischen Kämpfern erobert, was Saudi-Arabien zusammen mit der Bedrohung durch den iranisch inspirierten Islamismus dazu zwang, sunnitische Radikale zu unterstützen. Wochen später marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein, was zu einem Erstarken des transnationalen Dschihadismus führte.

Im selben Jahrzehnt unterstützten die energiereichen arabischen Golfstaaten den Irak im Iran-Irak-Krieg, um ein Gegengewicht zur möglichen iranischen Expansion zu schaffen. Während des kostspieligen Krieges mit Bagdad baute Teheran (unterstützt von seinem Verbündeten in Damaskus) nach dem israelischen Einmarsch in den Libanon 1982 mit der Hisbollah seinen wichtigsten regionalen Stellvertreter auf. Ende der 1980er Jahre versank die arabische Welt immer mehr im Chaos. Islamistische Gruppen, die die arabischen Regime herausforderten, waren auf dem Vormarsch. Währenddessen stand die Sowjetunion kurz vor dem Zusammenbruch, so dass sie ihre Verbündeten im Irak, in Syrien, Libyen und im Jemen nicht mehr unterstützen konnte.

Golfkrieg als strategisches Dilemma

Das folgenreichste Ereignis war die irakische Invasion in Kuwait, die 1991 zum Golfkrieg führte. Saudi-Arabien und die anderen arabischen Golfstaaten standen vor einem großen strategischen Dilemma: Sie brauchten den Irak als Bollwerk gegen die iranische Expansion, aber wenn Bagdad Kuwait einnehmen würde, könnten sie, insbesondere Saudi-Arabien, zum nächsten Ziel des Irak werden. Sie hatten keine andere Wahl, als die von den USA geführte Militärkoalition aktiv zu unterstützen. Infolge des Krieges wurde der sunnitische irakische Staat geschwächt, während die schiitische Mehrheit im Süden und die kurdische Minderheit im Norden gestärkt wurden. Beide unterhielten enge Beziehungen zum Iran.

In der Zwischenzeit ermöglichten das Osloer Abkommen von 1993, mit dem die Palästinensische Autonomiebehörde geschaffen wurde, und der israelisch-jordanische Friedensvertrag von 1994 Israel, seine nationalen Sicherheitsinteressen weiter zu konsolidieren. Die von den USA geförderte Diplomatie führte zwar nicht zur Gründung eines palästinensischen Staates, aber sie wirkte sich zum Vorteil derjenigen aus, die gegen eine Friedensregelung waren. Die Hamas und andere kleinere palästinensische Gruppierungen wurden vor allem durch eine Serie von Selbstmordattentaten zu mächtigen Kräften, was wiederum die israelische Rechte unter der Führung des derzeitigen Premierministers Benjamin Netanjahu ermutigte. Ausgestattet mit der Erfahrung, die er bei der Pflege der Hisbollah gesammelt hatte, und da der Irak kein großes Sicherheitsproblem mehr darstellte, machte sich der Iran daran, Beziehungen zur Hamas und zum palästinensischen Islamischen Dschihad zu knüpfen.

Bushs Krieg und die fatalen Folgen

Der Angriff von Al-Qaida auf die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 führte zu einer noch größeren Krise in der arabischen Welt, insbesondere bei ihrem faktischen Anführer Saudi-Arabien, das in Washingtons Krieg gegen den sunnitischen Islamismus verwickelt war. Die Entscheidung der Bush-Regierung, die irakische Regierung im Jahr 2003 zu stürzen, indem sie sich mit pro-iranischen Gruppierungen verbündete, war der wichtigste Beitrag zur Verwirklichung der strategischen Ziele des Iran. Und indem sie den Islamischen Staat ins Leben rief, erweiterte sie auch die Bedrohung durch den transnationalen Dschihadismus.

Der israelische Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 und der palästinensische Bürgerkrieg nach dem Wahlsieg der Hamas im Jahr 2006 führten dazu, dass die Hamas 2007 die Kontrolle über den Gazastreifen übernahm. Der Iran ergriff die Gelegenheit, die Hamas stärker zu unterstützen, insbesondere durch die Lieferung von Raketen, die der Hisbollah in ihrem Krieg gegen Israel 2006 halfen. In den 2010er Jahren profitierte der Iran außerdem von den Aufständen des Arabischen Frühlings.

Iran als Profiteur

Die Aufstände in Syrien und Jemen kamen den strategischen Plänen Irans für die Region sehr zugute. Die Unterstützung Teherans für das Assad-Regime machte Syrien fast zu einem Vasallenstaat. Auch die Unterstützung der Huthis, die nach dem Zusammenbruch des jemenitischen Staates an die Macht gekommen waren und bei der saudischen Intervention 2015 der Hauptgegner waren, kam dem Iran zugute. In den 2020er Jahren hatte der Iran eine ununterbrochene Einflusssphäre aufgebaut, die sich von seinen westlichen Grenzen bis zum östlichen Mittelmeer erstreckte und einen ständigen Vorposten an der Schnittstelle zwischen dem Arabischen und dem Roten Meer hatte.

Die arabische Strategie, um der iranischen Macht in der Region zu begegnen, bestand darin, sich mit Israel zu verbünden – eine Strategie, die durch die Abraham-Abkommen manifestiert wurde. Dieser Schritt war riskant, denn die arabischen Staaten würden mit Sicherheit dafür kritisiert werden, dass sie die Sache der Palästinenser im Stich lassen. Dies erklärt, warum Riad in seinen eigenen Verhandlungen um eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel kämpfte. Gerade als es so aussah, als stünde Saudi-Arabien kurz vor einem großen Durchbruch, griff die Hamas am 7. Oktober Israel an, torpedierte die Gespräche und stürzte die Region in einen Konflikt fast ungeahnten Ausmaßes, der in der ganzen Welt nachhallt, insbesondere in den Vereinigten Staaten mit den wachsenden Studentenprotesten gegen die amerikanische Unterstützung für Israel.

In den sechs Monaten seit dem 7. Oktober hat es mehrere bemerkenswerte Entwicklungen gegeben. Die Türkei war nicht in der Lage, viel zur Bewältigung der Krise beizutragen; Huthi-Rebellen haben internationale Schiffe angegriffen; pro-iranische Milizen haben wiederholt US-Ziele in Syrien, Irak und Jordanien attackiert; und Israel hat Lufteinsätze gegen iranische Einrichtungen in Syrien und im Libanon geflogen, was zum ersten direkten Angriff des Irans gegen Israel selbst führte. Diese Entwicklungen machen deutlich, dass die regionale Sicherheit weitgehend von Israel und dem Iran bestimmt wird.

Die arabischen Staaten sind erst recht nicht in der Lage, eine wirksame Rolle für die Sicherheit im Nahen Osten zu spielen, zumal ihr historischer Sicherheitsgarant, die USA, in einer Zeit der Unruhen im eigenen Land und der Auseinandersetzungen mit ihren Großmachtkonkurrenten Russland und China um ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Interessengruppen ringen.

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Jens Böhme | Mi., 1. Mai 2024 - 15:10

In der Geschichte der Menschheit ist Nationalismus überlebensnotwendig. Die Assimilierung von Völkern, deren Auslöschung, Verschwinden von Sprache und Kultur (sowie Freiheiten)sind keine Ziele, um Vielfalt zu erhalten.

Maria Arenz | Mi., 1. Mai 2024 - 18:10

ist nichts, was man isloiert "herstellen "kann. Sie ist vielmehr das Produkt einer Entwicklung zu Gemeinwesen, die nicht nur einer dünnen Oberschicht sondern dem Gros der Bevölkerung ein anständiges Leben ermöglichen. Das ist in keinem Staat im Nahen Osten geschehen. Die traditionelle, auf Blutsverwandschaft und Stamm beruhende Gesellschaftsordnung blockiert jede Entwicklung zu einer auch für die Masse der Gesellschaft funktionierenden Ordnung. Die daraus resultierenden Spannungen innerhalb der Gemeinwesen haben auch eine ungute Beeinflussbareit durch regionale und außerregionale Mächte zur Folge, die sich die Spannungen zu Nutze machen . "Teile und Herrsche" nennt man das Prinzp, das schon die Kolonisierung durch die Europäischen Kolonialmächte so leicht machte.Und heute sind es Iran, Rußland Saudi Arabien etc. zu deren Spielball sich die jeweis herrschenden Cliquen zu Nachteil ihrer Völker machen lassen.

Christoph Kuhlmann | Mi., 1. Mai 2024 - 18:52

Wir brauchen niedrige Energiepreise. Das schadet dem Iran und Russland und hilft den Schwellenländern. Die USA haben es viel zu direkt versucht. Afghanistan, Irak und Libyen sind allesamt Ausdruck ahistorischen Denkens und in die Macht der Bomben. Wer nach 5000 Gefallenen kapitulieren muss, sollte sich aus dieser Region heraushalten. Sie stiften sowieso nur Chaos und menschliches Leid. Hört auf Länder nach humanistischen Kriterien zu richten. Das ist Kulturimperialismus in Reinkultur. Die USA machen sich lächerlich weil sie diese Kriterien in ihren völkerrechtswidrigen Angriffskriegen selbst nicht erfüllen.

Albert Schultheis | Do., 2. Mai 2024 - 13:50

Mehr noch als die atavistischen, vormittelalterlichen Strukturen im Nahen Osten sind es die kollektivistischen gesellschaftlichen Strukturen dort, die jeglichen Fortschritt unterbinden! Damit meine ich 1. den Sozialismus, wie er zB von den Palästinsern Arafats praktiziert wurde und 2. den Islam der Hamas! Heute erleben wir quasi einen doppelten Kollektivismus in der Verbindung des radikalen, anti-jüdischen Islam mit den RotGrün-woken Extremisten an den US-Eliteuniversitäten sowie in den deutschen Fachbereichen der abgesoffenen "Geistes-" und "Sozial-"Wissenschaften, die weder geistvoll noch sozial - geschweige denn wissenschaftlich sind, sondern nur noch infantilisiert und verblödet. Längst sind unsere RotGelbGrünen Khmer dabei, die Verbindung in Form des Kalifats mit dem Stalinismus/Maoisten einer Esken, eines Kühnert, Steinmeier oder Trittin zu installieren. Der doppelte Kollektivismus wird jeglichen Impuls der wirtschaftl. Innovation, der freien Unternehmerschaft zunichte machen!